Rechtsanwalt als Betreiber eines Wasserkraftwerks
Kanzlei
Artikel im Hamburger Abendblatt, Harburger Rundschau vom 14.01.2011
Winsen
Ein Leben mit der Kraft der Luhe
von Evelin Hartmann
Familie Benthack produziert mit einer alten Wassermühle ihren eigenen Strom. Und 130 Haushalte versorgen sie gleich mit.
Seit 1992 wohnt Martin Benthack mit seiner Familie in dem alten Obermüllerhaus. Der Anwalt betreibt ein Wasserkraftwerk und produziert Strom.
Foto: Evelin Hartmann.
Barbara und Martin Benthack vermeiden jedes Jahr den Ausstoß von 320 000 Kilogramm Kohlendioxid, 450 Kilogramm Schwefeldioxid sowie 225 Kilogramm Stickoxide. Sie betreiben an der Luhe ihr eigenes Wasserkraftwerk. Jahresertrag: etwa 320 000 Kilowattsunden. 130 Haushalte können mit dem Strom versorgt werden. Eine Ökobilanz, die sich sehen lässt.
Das Ehepaar wohnt mit ihrer Tochter Constanze, 13, in der Mühlenstraße, direkt neben der alten Wassermühle, die sich seit nunmehr 50 Jahren im Familienbesitz der Benthacks befindet. Früher wurde ihr Roggen und Weizen gemahlen. Ein großer Betrieb. "Doch mit dem großen Mühlen-Sterben Ende der 70er-Jahre wurde auch der Betrieb der Winsener Wassermühle eingestellt", erinnert sich Martin Benthack, 50. Mittelständige Betriebe konnten nicht mehr wirtschaftlich arbeiten.
Die vier Etagen des alten Backsteingebäudes wurden nach und nach zu Lager- und Geschäftsräumen umgebaut. Doch ganz stillgelegt werden sollte die Francis-Schachtturbine im Keller aber nicht - die Mühle wurde zur Wasserkraftanlage umgewandelt. "An die Transmissionsanlage musste sozusagen nur ein Generator angeschlossen werden, im Prinzip wie ein Dynamo an ein Fahrrad." Das Ziel: Stromerzeugung. "Die Wasserkraft gehörte zu den ersten Methoden zur Gewinnung regenerativer Energien, vor Wind und Sonne", so Martin Benthack.
Damals bediente sein Schwiegervater Horst Benthack, 80, die Anlagen - manuell. Ende der 90er-Jahre wurde alles auf Automatik umgestellt, und Martin Benthack übernahm mehr und mehr den Betrieb der Wassermühle. Heute ist alles voll automatisiert. "Anders würde es zeitlich auch nicht gehen", sagt der Junior. Martin Benthack führt seine eigene Anwaltskanzlei.
Malerisch schlängelt sich die Luhe an dem ehemaligen Obermüllerhaus vorbei, dem heutigen Zuhause der Benthacks. Das aufgestaute Wasser wird durch eine Rechenreinigungsanlage zur Turbinenanlage unter der Mühle geleitet. Es plätschert und rauscht. "Eigentlich mag ich dieses Geräusch gar nicht so gerne, aber man gewöhnt sich sehr schnell dran", sagt Martin Benthack und geht die wenigen Schritte hinüber zur Mühle. Sein Schwiegervater ist froh, dass er Spaß daran gefunden habe, den Mühlenbetrieb weiter zu führen.
Über das Messen des Wasserstandes entscheidet das Computersystem darüber, wie weit die Turbine geöffnet wird. Führt der Fluss wie zurzeit viel Wasser, wird die Turbine ganz geöffnet, verringert sich der Wasserstand wieder, wird die Turbine ein Stück geschlossen. So soll der Wasserstand der Luhe über das Kraftwerk auf ein beständiges Maß reguliert werden. "Fische gelangen über eine Fischtreppe unbeschadet durch das Kraftwerk", so Martin Benthack. "Wir arbeiten mit den Fischern eng zusammen."
Morgens schaut er als erstes bei der Reinigungsanlage nach dem Rechten, sortiert angespülte Glasflaschen und Plastikmüll aus. Anschließend schaut er im Turbinenraum vorbei. "Hier höre ich meistens nur kurz ob die Maschinen störungsfrei laufen", sagt er. Darauf ist sein Gehör geschult. Abends ist dann wieder die Rechenreinigungsanlage an der Reihe. "Wenn ich dafür einmal keine Zeit habe, ist das aber auch kein Beinbruch." Auch im Wohnhaus befindet sich eine Bedienungsanlage.
Eine Kamera macht jede Minute ein Bild vom Staubereich der Luhe, das auf seinem Rechner im Turbinenraum gespeichert wird. Über seinen Laptop oder sein Smartphone kann er diese abrufen und so nach dem Rechten schauen - auch im Urlaub. Kommt es zu einer Fehlermeldung, wird er darüber per SMS informiert.
Über eine Internetseite kann er auch aus der Ferne in das Computersystem im Turbinenraum eingreifen. Martin Benthack: "Ich kann das Wehr öffnen und schließen, den Wasserstand abfragen und die Anlage im Notfall komplett abschalten." Und was ist, wenn die Technik einmal versagt? "Dann muss ich alles wieder von Hand bedienen", sagt der Strom-Erzeuger lachend. "Im Winter 1996 habe ich zum Beispiel eines Nachts das Rauschen nicht mehr gehört. Das große Schott war zugefroren, und das Wasser konnte nicht mehr ablaufen." Martin Benthack schnappte sich die Spitzhacke und hackte die Eisschollen auf, damit das Wasser an die Flutmulden ablaufen konnte. "Zum Glück kommt so etwas nicht oft vor."
Der Strom fließt ins Netz des örtlichen Stromversorgers. 7,62 Cent pro Kilowattstunde bekommt die Familie dafür. Reich werden könne man davon nicht. Martin Benthack: "Aber die Mühle ist nun einmal da, da wäre es doch schade, wenn sie brach liegen würde." Lütt Korsika nennen die Winsener den Altstadtkern umgeben von Wasser, wo auch das Müllerhaus steht. Von hier aus kann Martin Benthack sofort in sein Kanu steigen. "Im Sommer paddle ich Richtung Krankenhaus und lasse mich von der Strömung langsam zurücktreiben - etwas Schöneres gibt es nicht."
Stadtwerkemagazin Winsen/Luhe, Juni 2022